Sinnerleben bei schweren psychischen Erkrankungen

Ehrlich-Ben Or, S., Hassan-Ohayon, I., Feingold, D., Vahab, K., Amiaz, R., Weiser, M., & Lysaker, P. H. (2013). Meaning in life, insight and self-stigma among people with severe mental illness. Comprehensive Psychiatry,  54 (2), 195–200.

Für Menschen, die an Schizophrenie, Depressionen oder anderen schweren psychischen Krankheiten  erkrankt sind, ist es vor allem eine große Herausforderung, ihren Lebenssinn wieder zu finden. Auch die Betroffenen selbst sehen in der Wiederfindung ihres Lebenssinnes einen Kernaspekt ihrer Genesung.

Israelische und amerikanische Wissenschaftler haben in verschiedenen Untersuchungen mit Betroffenen zwei Eigenschaften gefunden, die einen Einfluss auf den Lebenssinn bei psychisch schwer kranken Menschen haben sollen:

  • Einsicht, Verständnis über ihre psychische Erkrankung
  • Das Vorhandensein internalisierter Stigmata

Einsicht

Sie beschreibt die Fähigkeit, sich seiner eigenen Krankheit bewusst zu sein, zu erkennen, dass man Symptome hat und zu verstehen, was das für das eigene Leben bedeutet. Bisher war sich die Forschung noch uneinig ob ein hoher Grad an Einsicht positiv oder negativ auf die Lebensqualität wirkt.

Internalisierte Stigmata

Stigmata sind negative Stereotype, die mit einer psychischen Erkrankung assoziiert werden. Sie sind meist in der Gesellschaft verankert und tragen dazu bei, dass betroffene Personen sich ihrer Krankheit schämen und sie verheimlichen. Bei internalisierten Stigmata glauben die Erkrankten selbst an diese Stereotype. Dadurch leiden natürlich der Selbstwert sowie das Vertrauen in eine Heilung und im Weitern auch die Lebensqualität.

In der Untersuchung wurden die folgenden internalisierten Stigmata erhoben:

  • Wegen der psychischen Krankheit gehöre ich nicht mehr ‚dazu‘.
  • Die Erkrankung hat mir mein Leben verdorben.
  • Andere, die nicht unter einer psychischen Erkrankung leiden, können mich sowieso nicht verstehen.
  • Ich schäme mich wegen meiner Erkrankung.
  • Ich bin enttäuscht über mich selbst, dass ich erkrankt bin.
  • Ich fühle mich anderen unterlegen, die nicht unter einer psychischen Erkrankung leiden.

Nun haben sich die Forscher dafür interessiert, welchen Einfluss diese beiden Eigenschaften auf den Lebenssinn von Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen haben.

Ergebnisse

Wie erwartet erleben Menschen mit starken internalisierten Stigmata, also Menschen die sich selbst entsprechend negativer Stereotype wahrnehmen, weniger Lebenssinn. Dementsprechend sehen jene Patienten mehr Sinn in ihrem Leben, die keine Stereotype über sich und ihre Krankheit akzeptieren oder glauben.

Gleichzeitig scheint eine stärkere Einsicht in die eigene Krankheit mit einem geringeren Lebenssinn einherzugehen. Das bedeutet also, dass Menschen, die ihre Krankheit bewusster und klarer erleben, weniger Lebenssinn verspüren. Viel mehr scheint eine erhöhte Einsicht mit verstärkten internalisierten Stigmata einherzugehen. In diesem Sinn glauben Menschen mit einer klaren Einsicht auch verstärkt an die Stereotype, die mit ihrer Krankheit verbunden sind.

Somit zeigt sich, dass es vor allem darauf ankommt, sich von schlechten Vorurteilen, also Stigmata zu lösen, da sie sich negativ auf den Lebenssinn auswirken – auch bei einsichtigen PatientInnen.

Internalisierte Stigmata können unser Leben stark beeinflussen und die Genesung nach schweren psychischen Erkrankungen erschweren. Umso wichtiger ist es, diese Stigmata – ob internalisiert oder nicht – bewusst zu machen. Nur so ist es möglich, dass sie nicht Besitz von uns ergreifen!

Von Thomas Egger

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