Lips-Wiersma, M. & Mills, A. J. (2013). Understanding the Basic Assumptions About Human Nature in Workplace Spirituality: Beyond the Critical Versus Positive Divide. Journal of Management Inquiry, 23 (2), 148–161.
Können existentielle Fragen dabei helfen, wieder mehr Sinn bei der Arbeit zu erleben? Wie kann das Gefühl der Verbundenheit mit den Arbeitskollegen verbessert werden? Können Organisation und Mitarbeiter davon profitieren, wenn sich Arbeitnehmer mit existentiellen Fragen beschäftigen?
Lips-Wiersma und Mills (2013) untersuchen in einer fünfmonatigen Studie 30 Mitarbeiter eines niederländischen universitären Instituts, die zwei Tage an einem spirituellen Rückzugsort verbringen. Dieser ‚Retreat‘ stellt eine praktische Umsetzung der organisationalen Werte des Instituts dar, die das Wohlbefinden der Arbeitnehmer beinhalten. Im Retreat werden sie dazu angeleitet, weit weg von ihrem Arbeitsalltag, in einer strukturierten Art und Weise über den tieferen Sinn ihrer Existenz nachzudenken. Dazu steht ihnen eine Mischung aus Übungen zu Körper, Geist, Seele und Sinn zur Verfügung. Im Mittelpunkt jeder Übung steht die Frage „Wer bin ich?“. Die Teilnehmer können sich aussuchen, auf welche Rolle in ihrem Leben sie diese Frage richten, wie z.B. Arbeit oder Familie. Daneben ist in den Tagen Platz für andere Formen der Reflexion wie Gebete und Meditationen.
Die Studie findet vor dem Hintergrund statt, dass für Unternehmen immer mehr die Leistung des Arbeitnehmers im Mittelpunkt steht und nicht der Mensch selbst. Laut den Autoren ist es vor allem in Zeiten von raschen Veränderungen in der Arbeitswelt für Arbeitnehmer wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, wer man ist. Die Frage „Wer bin ich?“ in den Tagen am Rückzugsort zielt darauf ab, dass sich die Teilnehmer ihrer Identität bewusst werden. Das generelle Ziel dieser Tage ist die Reflexion über den Sinn von Arbeit im Hinblick auf das eigene Leben.
Was zeigen die Ergebnisse dieser Studie?
- Über die Frage „Ist meine Arbeit noch sinnvoll?“ wird in den Tagen häufig reflektiert. Um die erhaltenen Erkenntnisse in Veränderungen umzusetzen nutzen die Teilnehmer ihre Entscheidungsmöglichkeiten anschließend am Arbeitsplatz. Im Rahmen dieser widmen sie sich dem Teil ihrer Arbeit mehr, der für sie momentan wichtig ist. Neben der Arbeit gibt es aber auch andere Lebensbereiche, über deren Bedeutung reflektiert wird. Das erfordert anschließend ein Umgestalten der Zeitaufteilung, um auch diesen genügend Raum zu geben.
Den meisten Teilnehmern gelingt es jedoch nicht, ihren Arbeitsalltag nach diesen Tagen langfristig sinnstiftend umzugestalten. Sinngebende Arbeit verlangt vielmehr dauerhafte Reflexion und die anschließende Bereitschaft zur Veränderung. - Der Rückzugsort hilft den Teilnehmern vor allem durch den Abstand zur Alltagshektik, mehr zu sich selbst zu finden und sich ihrer Identität klarer zu werden.
- Im Hinblick auf eine sinnvolle Arbeit ist das Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen wichtig. Dies tritt vor allem dann ein, wenn man sich mit ihnen über den persönlichen Lebenssinn austauscht. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Menschen aus der Arbeit durch regelmäßige Gespräche schon recht gut kennen. Sie unterhalten sich jedoch selten darüber, was für sie die wesentlichen Dinge im Leben sind. Wenn dies gewünscht ist, bieten die Tage am Rückzugsort hierfür die geeigneten Bedingungen.
- Die Reflexion hilft den Teilnehmern zu verstehen, über welchen Teil sie Kontrolle bei der Arbeit haben, und welchen Anteil sie als Einzelperson nicht beeinflussen können. So gibt es Dinge, die die Organisation dazu beträgt, dass Arbeitnehmer sich selbst verlieren. Ein Beispiel hierfür ist der Druck zu funktionieren. Andererseits existiert auch ein beeinflussbarer Bereich für jeden Einzelnen. Dies sind persönliche Merkmale wie ein zu hohes Verantwortungsbewusstsein.
Was bedeuten diese Ergebnisse für die Praxis vor dem Hintergrund der existentiellen Psychologie?
– Eine Kombination aus Entscheidungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz und Reflexion hilft Menschen dabei, ihre Jobs und Privatleben so umzugestalten, dass diese in Einklang mit dem stehen, was ihnen letztendlich wichtig ist. Derartige existentielle Reflexion unterscheidet sich jedoch von reinen Problemlösungen. Sie versucht nicht ein Ziel oder eine Lösung für ein Problem zu erarbeiten, sondern sich vom alltäglichen Denken und von selbstverständlichen Grundannahmen zu lösen.
– Dem Einsatz solcher selbstreflexiver Methoden sind hinsichtlich der Reichweite in einer Organisation jedoch Grenzen gesetzt. Selbstreflexion kann beim Individuum sehr wohl zu wesentlichen Erkenntnissen und Veränderungsmöglichkeiten bezüglich persönlicher Rollen und Aufgaben führen. Jedoch reicht dies nicht aus, um langfristig auch Veränderungen auf verschiedenen Organisationsebenen zu bewirken. Hierfür muss zusätzlich kritische Reflexion durch den Arbeitgeber gemeinsam mit den Arbeitnehmern stattfinden. Dies kann in Form von Fragen wie „Warum sind wir als Organisation da?“ oder „Was steht einer sinnvollen Arbeit und existentiellen Reflexion seitens der Organisation im Wege?“ geschehen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass diese organisationalen Umstände bestehen bleiben und immer wieder dazu beitragen, dass Individuen sich ihrer Identität unklar werden.
– Innerhalb einer Organisation arbeiten zum einen Menschen, die sich vielleicht gerade fragen, wer sie eigentlich sind. Zur gleichen Zeit gibt es aber auch Arbeitnehmer, die sich klar darüber sind, was für sie bedeutend ist. Durch mehr Klarheit über den eigenen Lebenssinn können Veränderungswünsche seitens der Arbeitnehmer in Bezug auf ihre momentane Tätigkeit aufkommen. Arbeitgeber sollten durch die Struktur einer Organisation versuchen, diesen Bedürfnissen so weit wie möglich gerecht zu werden, um wieder mehr Sinn bei der Arbeit zu ermöglichen.
Was bedeutet das für mich?
Unter den momentanen Bedingungen ist es für Arbeitnehmer und Arbeitgeber schwer möglich, existentielle Fragen zu stellen. Arbeitgeber sollten bei der Struktur einer Organisation darauf achten, dass diese Sinnerleben für Arbeitnehmer erleichtert. Eine Möglichkeit ist Raum für existentielle Reflexion zu geben, sowie den Austausch darüber unter den Mitarbeitern.
Im Anschluss daran sollte es den Arbeitnehmern möglich sein, sich innerhalb des Unternehmens umzuorientieren oder im Rahmen von „Idiosyncratic Deals“ über individuelle Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Auch, wenn diese vom Standard im Unternehmen abweichen, können sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer davon profitieren.
Zusammengefasst von Jessica Färber
Quellen:
Lips-Wiersma, M. & Mills, A. J. (2013). Understanding the Basic Assumptions About Human Nature in Workplace Spirituality: Beyond the Critical Versus Positive Divide. Journal of Management Inquiry, 23 (2), 148–161.
Rousseau, D. M., Ho, V. T. & Greenberg, J. (2006). I-deals: Idiosyncratic terms in employment relationships. The Academy Of Management Review, 31(4), 977-994.