Christoph Hörmann sprach mit Prof. Dr. Theo Wehner, ETH Zürich, Schweiz
Frage 1:
Herr Prof. Wehner, in Ihrer Forschung haben Sie u.a. verschiedene Formen von Arbeit miteinander verglichen und konnten dabei feststellen, dass freiwillig Tätige mehr Einsatzbereitschaft und Arbeitsengagement zeigen als Erwerbstätige. Kann man dass dadurch erklären, dass man sich vor allem dann für eine Sache persönlich engagiert, wenn man sie persönlich als sinnvoll erachtet?
Ja. Also ich bin deshalb zögerlich, weil ich sage die Freiwilligkeit muss man sich leisten können. Das heißt, man muss eine Existenzsicherung haben und auch so wenig ausgepowert sein, dass man zusätzlich das Interesse hat in dieser Gesellschaft tätig zu werden. Und dort wo man dann zusätzlich, also neben der Existenzsicherung tätig wird, dort hat man sicher andere Ansprüche, als man die heute in der Erwerbsarbeitsgesellschaft durchsetzten kann.
Das heißt, es kommt vor allem darauf an, dass man noch Kraft und Ressourcen hat, um sich freiwillig zu engagieren?
Genau. Kraft und Ressourcen ist die eine Seite. Aber eben auch den Blick dafür, dass in unserer Gesellschaft Dinge getan werden sollten, vielleicht sogar müssen, die nicht unbedingt durch den Markt geregelt werden, die nicht bezahlbar sind und die ich selbst für mich auch nicht bezahlt haben möchte. Denn das hat mich in einem der ganz frühen Interviews, das ich geführt habe, sehr fasziniert, wie eine Ältere Dame gesagt hat: „Das was ich hier freiwillig tue, das würde ich nicht tun, wenn es bezahlt würde.“ Und das zeigt eben, dass dann ein Vergleichsmoment hinzukommt bei der bezahlten Arbeit, welches wir in der Freiwilligenarbeit so nicht haben.
Frage 2:
Gibt es bestimmte Bedingungen oder gar Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen oder können, damit eine Tätigkeit als bedeutsam erlebt wird?
Die Arbeitspsychologie, so würde ich sagen, hat sich zufrieden gegeben mit der Zufriedenheit. Es gibt kein arbeitspsychologisches Buch, wo das nicht auf vielen Seiten abgehandelt wird, es gibt viele Messinstrumente, die sich damit beschäftigt haben. Aber das ist nur die eine Seite. Arbeitszufriedenheit ist bescheidener sag ich mal – und auch die Bedingungen für hohe Arbeitszufriedenheit fallen bescheidener aus, als die in der Sinnerlebensforschung definiert werden. Und es ist auffällig, dass wir in der Arbeits- und Organisationspsychologischen Lehrbüchern unter dem Stichwort Sinn maximal zwei Einträge oder drei haben, die dann eben lauten Sinnhaftigkeit der Aufgabe. Dort wird noch gesehen, also in der Aufgabe muss sozusagen Möglichkeit Sinn zu generieren liegen. Und da bin ich irgendwie schon zu sensibel was das Wort anbelangt… Der Sinn haftet den Dingen nicht an! Das ist nicht etwas was angeheftet oder beigeheftet ist, sondern Sinn ist etwas, was persönlich generiert wird. Und jetzt zurück zu Ihrer Frage: Können wir denn Arbeitsplätze machen, die das Sinnerleben erhöhen? Wir können Bedingungen schaffen, die es zumindest nicht als nutzlos erscheinen lassen, diese Aufgaben zu erfüllen. Aber, Sinn ist etwas höchstpersönliches, und alleine die Ganzheitlichkeit, alleine die Stressfreiheit oder alleine die Anforderungsvielfalt sind es nicht, die dann das Sinnerleben garantieren. Ich selbst bin sehr angetan von den frühen Äußerungen Viktor Frankls. Er ist für mich einer der ersten und einer der kontinuierlichsten, die darauf hingewiesen haben: Sinn ist verarbeitete Erfahrung. Das heißt die Arbeitsplätze bieten mir Erfahrung an und ich muss das verarbeiten, um daraus tatsächlich auch persönlichen Sinn zu generieren. Und es könnte durchaus sein, dass eine Arbeitsaufgabe nicht ganzheitlich ist oder ich auch nur einen kleinen Teil davon mache, aber sehe, dass der innerhalb der Arbeitsteilung vernünftig ist, nützlich ist, brauchbar ist und dass ich in der Verarbeitung dieser persönlichen Erfahrung dann auch Sinn generieren kann.
Frage 3:
Inwiefern unterscheiden sich verschiedene Berufsstände? Zum Beispiel Menschen, die sich beruflich für andere engagieren, wie Krankenpfleger, Ärzte oder Sozialarbeiter. Erleben sie ihre Arbeit prinzipiell sinnvoller als Personen, die in der Produktion tätig sind? Oder kann man das so nicht behaupten?
Ich glaube nicht. Sie können bei Ihrer Hausarbeit Sinn erleben, sie können als Chirurg Sinn erleben und Sie können als Pflegekraft Sinn erleben und Sinn generieren. Die Zufriedenheit mag höher sein bei diesen verschiedenen Tätigkeiten, aber das Sinnerleben ist nicht so hierarchisiert, wie wir sonst Sinn in der Berufswelt hierarchisiert haben. Weil es eben eine zutiefst persönliche Konstruktion ist. Aus dem was objektiv gegeben ist, muss nicht für jeden der gleiche subjektive Sinn generiert werden.
Frage 4:
Vielleicht eine etwas banale Frage, aber was haben Arbeitgeber davon, dass ihre Mitarbeiter ihre Arbeit als sinnvoll erleben?
Also der Arbeitgeber müsste ja selbst sehen, denn in dem was er tut, generiert er ja auch Sinn. Es gibt zur Zeit eine Reihe von Umfragen, die deutlich zeigen: Mitarbeiter würden unter Umständen auf Status oder auch ein Stück weit auf Geld verzichten, wenn sie dafür anspruchsvollere und das heißt dann meistens Sinn-generierendere Tätigkeiten erhielten. Der Arbeitgeber kann sich also nicht darauf ausruhen, dass er unter Umständen zufriedene Mitarbeiter hat. Ein besonderes Phänomen von Arbeitszufriedenheit ist auch, dass sie in Krisen steigt. Denn es ist dann immer noch besser einen Arbeitsplatz zu haben als keinen. Für die Arbeitgeber und in nächster Linie für die Arbeitsforscher ist die Erschließung der Sinnkategorie innerhalb der Arbeit eine besondere Herausforderung, der wir uns in Zukunft stellen müssen.
Frage 5:
Sie sprachen an, dass Menschen bereit wären für einen Teil ihres Lohns für mehr Sinn bei der Arbeit zu verzichten. Was aber ist mit Menschen, die sagen für mich muss Arbeit keinen Sinn haben. Der Sinn meiner Arbeit liegt allein im Broterwerb. Muss Arbeit immer sinnvoll sein? Wieso gibt es Menschen, die offensichtlich keinen Sinn bei der Arbeit brauchen und offensichtlich nur den Sinn des Brot- oder Gelderwerbs darin sehen?
Gut, das ist ja die Abhängigkeit in der Erwerbsarbeit: Die ist ja dadurch gegeben, dass sie sonst keine Existenz hätten. Wer kein Einkommen hat, hat kein Auskommen. Und es könnte ja sein, dass jemand sagt für mich ist diese Aufgabe, die ich hierzu erfüllen habe, ist für mich dafür da die Existenz zu sichern. Und deshalb habe ich keine höheren Ansprüche daran. Und was da sonst noch gegeben ist nutze ich nicht zur Sinngenerierung. Wobei ich vermuten würde, dass diese Person, die nur im Gelderwerb Sinn generiert sicher keine wirklich sehr gute Arbeit hinterlässt. Keine Arbeit auf die diese Person eventuell selbst stolz ist. Vielleicht ist die Dienstleistung dann trotzdem noch erfüllt. Vielleicht meckert der Kunde auch nicht, aber ich glaube Arbeit wird dadurch reicher, indem ich Stolz darauf sein kann.
Frage 6:
Das bedeutet, ohne die wirtschaftliche Abhängigkeit – Sie haben sich ja auch intensiv mit Fragen zum bedingungslosen Grundeinkommen auseinandergesetzt – was denken Sie, Ihre persönliche Einschätzung: Inwiefern könnte man durch ein bedingungsloses Grundeinkommen dem einzelnen Arbeitnehmer zu mehr Sinnerleben im Beruf verhelfen?
Also diese Trennung von Arbeit und Einkommen ist sicher schon gedankliche eine der größten Herausforderungen für die Arbeitsgesellschaft. Und ich wundere mich sehr darüber, wie viele Bürgerinnen und Bürger rundheraus sagen: „Dann würde die Hälfte nicht mehr arbeiten – zumindest mein Nachbar nicht mehr. Ich vielleicht schon noch, aber mein Nachbar nicht mehr.“ Das ist schon ein Menschenbild, was wir gehörig hinterfragen müssen. Ich glaube wir sind tätige Wesen und es kommt genauer auf das Tun-Können an, damit sich Geist und soziales Zusammenleben überhaupt ausbilden. Aber ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre für uns eine wirklich große Herausforderung. Und ich vermute auch, dass wir ihr nicht von Anfang an gewachsen sind. Und ich würde sagen man kann sich eben nicht mehr so gut darauf rausreden zu sagen, „ich mache den Job weil ich das Geld brauche“. Dieses Argument gilt dann nicht mehr, denn man muss andere Gründe haben eine Tätigkeit auszuführen. Und das wirft uns auf uns zurück. Das Unternehmen selbst wird es dann auch nach wie vor noch geben. Auch wenn ich nicht dabei bin. Ich muss eine viel stärkere Übereinstimmung erzielen zwischen dem was für mich sinngenerierend ist, und dem was dort angeboten wird.
Ich selber finde die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen auch sehr spannend: Dann wäre der Mensch vielleicht wirklich frei, das zu tun was er tun will.
Genau. Dann gibt’s aber auch, wie Erich Fromm sagen würde, eine gewisse „Furcht vor der Freiheit“ …
Zur Person
Theo Wehner war seit 1997 ordentlicher Professor an der ETH für das Fach Arbeits- und Organisationspsychologie und Leiter des ETH-Zentrums für Organisations- und Arbeitswissenschaften. Er wurde zum Aug 2014 emeritiert und ist derzeit Gastprofessor an der Universität Bremen, im Institut „Technik & Bildung“.
Geboren am 27. März 1949, in Fulda (D), studierte er – nach abgeschlossener Berufsausbildung und mehrjähriger Angestelltentätigkeit – an der Universität Münster Psychologie und Soziologie. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Münster und Bremen, promovierte an der Universität Bremen und habilitierte sich 1986 ebenfalls dort. Von 1989 bis 1997 war er Professor für Arbeitspsychologie an der TU Hamburg-Harburg.
Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit sind die psychologische Fehlerforschung, das Verhältnis von Erfahrung und Wissen, kooperatives Handeln und psychologische Sicherheitsforschung. Unter dem Begriff “wissensorientierte Kooperation” führt er seit Jahren Projekte in verschiedenen Unternehmen durch. Dabei werden selbstverständlich auch psychologische “Werkzeuge” entwickelt. In seiner Forschung ist ein sowohl quantitatives als auch qualitatives empirisches Vorgehen zentral, jedoch immer eingebettet in die betriebliche Lebenswelt und in enger Kooperation mit den Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite.
In der universitären Lehre vertritt er den Standpunkt der Vermittlung arbeitspsychologischer Inhalte durch “Selbstanwendung” (Wissenschaft wird dadurch Praxis, indem wir sie auf uns selbst anwenden).
Ein neuer Schwerpunkt (mit mehreren, vom Schweizer Nationalfonds geförderten Projekten) bilden Forschungsprojekte zur frei-gemeinnützigen Tätigkeit[1] (Volunteering) und zum frei-gemeinnützigen Engagement von Unternehmen[2] (Corporate Volunteering).
[1] Wehner, T. & Güntert, S. (2015): Psychologie der Freiwilligenarbeit. Motivation, Gestaltung und Organisation. Berlin: Springer.
[2] Wehner, T. & Gentile, G.-C. (2012). (Hrsg.): Corporate Volunteering – Unternehmen im Spannungsfeld von Effizienz und Ethik. Berlin: Springer, Gabler.