Jong, J., Ross, R., Philip, T., Chang, S.-H., Simons, N. & Halberstadt, J. (2018). The religious correlates of death anxiety: a systematic review and meta-analysis. Religion, Brain & Behavior, 8(1), 4–20. https://doi.org/10.1080/2153599X.2016.1238844
Die Vorstellung, dass religiöser Glaube durch Angst motiviert ist, hat eine lange Geschichte und wird bis heute von verschiedenen Religionstheorien aufgegriffen. Es wird angenommen, dass Religiosität vor allem mit der Angst vor dem (eigenen) Tod zusammenhängt. Zu diesem Zusammenhang gibt es im Wesentlichen drei alternative, theoretische Annahmen: (1) Die Angst vor dem Tod motiviert den religiösen Glauben, religiöse Menschen weisen deshalb tendenziell eine höhere Angst vor dem Tod auf als nicht-religiöse (positiver Zusammenhang). (2) Der religiöse Glaube lindert die Angst vor dem Tod (z.B. durch den Glauben an ein Leben nach dem Tod); Religiöse sollten deshalb weniger Angst vor dem Tod verspüren als Nicht-Religiöse (negativer Zusammenhang). (3) Sowohl religiöse als auch nicht-religiöse Weltanschauungen können einer Angst vor dem Tod entgegenwirken, es wird daher ein kurvilinearer Zusammenhang zwischen Religiosität und Todesangst angenommen. Ein kurvilinearer Zusammenhang (Abbildung 1) ähnelt einer umgekehrten U-Kurve und bedeutet in diesem Fall, dass sehr religiöse Menschen sowie überzeugte nicht-religiöse Menschen (z.B. Atheist*innen) am wenigsten Angst vor dem Tod zeigen (rechte und linke Seite der Kurve). Jedoch verspüren Menschen, die unsicher in ihrem Glauben sind, am meisten Angst vor dem Tod (Mitte der Kurve). Demnach können sowohl religiöse als auch atheistische Weltanschauungen dazu beitragen, die menschliche Angst vor dem Tod zu lindern. Entscheidend wäre daher also weniger der konkrete Inhalt des Glaubenssystems, sondern vielmehr die persönliche Überzeugtheit und Gewissheit in Bezug auf die eigene Weltanschauung.
Es gibt bereits zahlreiche Studien, die die Beziehung zwischen Religiosität und Angst vor dem Tod untersuchten. Allerdings prüften die wenigsten dieser Studien explizit einen kurvilinearen Zusammenhang. Das Ziel der vorliegenden Studie von Jong und Kollegen lag nun darin, den bisherigen Forschungsstand übersichtlich darzustellen (Review) sowie die Ergebnisse früherer Studien statistisch zusammenzufassen (Meta-Analyse) und hinsichtlich eines kurvilinearen Zusammenhangs neu zu bewerten. Die größte Herausforderung dabei war, dass die einzelnen Forschungsarbeiten zu dieser Thematik verschiedene Verfahren, die unterschiedliche Aspekte der Angst vor dem Tod und der Religiosität messen, verwendet haben. Das hat zur Folge, dass die Ergebnisse dieser Studien im Allgemeinen nur schwer zusammenzufassen und zu vergleichen sind. Weiters wurden in den meisten Studien überdurchschnittlich viele religiöse und nur sehr wenige oder gar keine nicht-religiöse Personen befragt. Diese Unterschiede in den Stichproben der Studien können dann zu Verzerrungen der Ergebnisse führen.
Die Autor*innen fassten in der vorliegenden Arbeit insgesamt 100 Einzelstudien zusammen. In den meisten dieser Studien wurde kein Zusammenhang zwischen Religiosität und der Angst vor dem Tod gefunden (52%). Dreißig Prozent der früheren Ergebnisse deuteten darauf hin, dass mit zunehmender Religiosität die Angst vor dem Tod abnimmt. Die restlichen 18% der Studien zeigten, dass mit zunehmender Religiosität auch die Angst vor dem Tod zunimmt. Zusammengefasst zeigte sich schließlich ein leicht negativer, aber sehr kleiner Zusammenhang zwischen Religiosität und der Angst vor dem Tod. Im Rahmen einer detaillierteren Betrachtung wurde im Anschluss der Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Subaspekten von Religiosität (allgemeine Aspekte der Religiosität, Aspekte des religiösen Glaubens, des religiösen Verhaltens und der religiösen Orientierung) und der Angst vor dem Tod untersucht. Hier zeigte sich vorwiegend, dass eine höhere Ausprägung der religiösen Subaspekte mit weniger Angst vor dem Tod einhergeht. Nur die extrinsische religiöse Orientierung, also wenn Religion vorwiegend für eigene Zwecke genutzt wird und nicht vollständig verinnerlicht ist, hing positiv mit der Angst vor dem Tod zusammen. Ungeachtet dessen waren aber die Effekte auch bei dieser spezifischeren Betrachtung nur sehr klein.
Auf den ersten Blick scheinen diese Ergebnisse sehr heterogen zu sein, da sowohl positive, negative, als auch gar keine Zusammenhänge gefunden wurden. Ein Grund dafür könnte die große Vielfalt der Untersuchungsmethoden der einbezogenen Studien sein. Es könnte jedoch auch ein Hinweis auf einen in Wahrheit vorhandenen, kurvilinearen Zusammenhang sein, da dieser nicht rein positiv oder negativ ist und lediglich in 11 der 100 analysierten Studien direkt getestet – und hier auch gefunden – wurde (siehe hierzu auch eine aktuelle Studie unserer Forschungsgruppe, deren Ergebnisse die Annahme eines kurvilinearen Zusammenhangs zwischen Religiosität und Angst vor dem Tod ebenfalls stützen). Um zu klären, wie Religiosität mit der Angst vor dem Tod in Verbindung steht, braucht es in Zukunft jedenfalls weitere Studien, die vor allem auf der Untersuchung ausgeglichener Stichproben in Hinblick auf die Religiosität der Proband*Innen beruhen.
Zusammengefasst von Sarah Salzmann