Eine Studie des Existential Psychology Lab, Prof. Dr. Tatjana Schnell, Universität Innsbruck
Der folgende Text soll die Stichprobe und die erhobenen Daten allgemeinverständlich beschreiben. Auf die Darstellung statistischer Analysen wird um der Verständlichkeit willen verzichtet. Wissenschaftliche Veröffentlichungen sind in Bearbeitung und werden nach Erscheinen hier gelistet bzw. zugänglich gemacht.
Insgesamt 1568 Personen haben den Fragebogen in der Zeit vom 12. April – 21. Juni 2020 vollständig ausgefüllt.
Das mittlere Alter der Teilnehmenden lag bei 35 Jahren und reichte von 18 bis 99 Jahre. Fünfunddreißig Prozent waren männlich, 65% weiblich und 0,5% divers. Siebenunddreißig Prozent der Stichprobe kamen aus Österreich, 52% aus Deutschland, 6% aus Italien. Weitere vertretene Nationalitäten waren Schweiz, Luxembourg, Liechtenstein, Polen, Spanien, etc.
Das mittlere Bildungsniveau der Stichprobe war hoch, mit 13%, die einen Haupt-, Real- oder Mittelschulabschluss angaben, 30% mit Matura/Abitur und 58% mit abgeschlossenem Studium.
Erfragt wurden Lebensbedingungen, die Erfahrung der durch Covid-19 verursachten Situation, verschiedene psychologische Ressourcen sowie Merkmale seelischer Gesundheit. Es folgt ein Überblick über die Verteilung der Antworten und zentrale Erkenntnisse:
Lebensbedingungen
Zur Wohnsituation
Zweiundzwanzig Prozent der Teilnehmenden lebten allein, 30% lebten mit (Ehe)PartnerInnen, 18% mit Kindern, 20% mit Verwandten und 9% mit FreundInnen. Die Stichprobe war begünstigt, was die Ausstattung der Wohnungen mit Balkon, Terrasse oder Garten angeht: Nur 14% lebten in Zimmern, Wohnungen oder Häusern ohne einen solchen Außenbereich.
Zur Arbeitssituation
Ein großer Teil der Stichprobe (42%) arbeitete im Home Office, 24% an ihren üblichen Arbeitsplätzen.
Von denen, die einer Arbeit außerhalb der eigenen vier Wände nachgingen, arbeiteten 18% mehr als üblich, 26% weniger als üblich und 56% so wie üblich. Im Homeoffice arbeiteten 28% mehr als üblich, 32% weniger als üblich und 40% so wie üblich.
Umgang mit und Erleben von Corona
Wie informierten sich die Befragten über die Situation? Der Großteil recherchierte im Internet, gefolgt von TV, Zeitungen und Radio. (Mehrfachantworten waren möglich.)
Gefragt nach Informationsquellen im Internet (wenn gewählt), gaben 73% an, offizielle Kanäle wie die Seiten der Bundesregierungen, des RKI, der WHO etc. zu konsultieren. Ebenfalls sehr viele (67%) lasen digitale Zeitungen. Einundzwanzig Prozent nutzen Facebook, 16% Youtube, 33% recherchierten über Google.
Fünfunddreißig Prozent der TeilnehmerInnen berichteten eine leichte Tendenz, sich auf verschwörungstheoretische Ideen einzulassen (CMQ); bei 19% war die Verschwörungsmentalität stark ausgeprägt.
Objektive und subjektive Betroffenheit durch COVID-19
Acht Personen (1 %) berichteten eine eigene Covid-19 Infektion. Elf Prozent (N = 102) gaben an, dass sich ein ihnen nahestehender Mensch infiziert hatte, ein Prozent (N = 9), dass ein nahestehender Mensch an Covid-19 gestorben war.
Der Großteil der Teilnehmenden berichtete keinen starken akuten Stress aufgrund der durch COVID-19 hervorgerufenen Situation. Nur 12% der Befragten gaben an, ein wenig unter der Situation zu leiden; eine starke Belastung berichtete gar nur 1% der Teilnehmenden.
Hingegen drückten 59% der Studienteilnehmenden ihre Zustimmung zu optimistischen Aussagen aus. Sie konnten der Situation etwas Positives abgewinnen und glaubten, dass wir durch die Pandemie Wichtiges lernen und unser Verhalten zum Besseren verändern werden.
Einunddreißig Prozent kümmerten sich um Nachbarn.
Psychologische Ressourcen
Die folgenden Ergebnisse werden getrennt nach dem Erhebungszeitraum dargestellt. Siebenundfünfzig Prozent der Studienteilnehmenden beantwortete den Fragebogen während des Lockdowns, 43% in den darauffolgenden Wochen (ab 1. Mai). Dem wird durch die separate Darstellung Rechnung getragen.
Sinnerleben und Lebensbedeutungen
Während des Lockdowns entsprachen die Werte in Sinnerfüllung, Religiosität (religiöses Leben und persönliche Gottesbeziehung) und Spiritualität (Schicksalsglaube und Orientierung an nicht näher benannter anderer Wirklichkeit) in etwa den Werten von vor COVID-19. Sinnkrisen waren weniger verbreitet als vor der Pandemie. Nach dem Lockdown zeigten sich deutlich niedrigere Werte in Sinnerfüllung, Religiosität und Spiritualität, während es signifikant mehr Sinnkrisen gab (in Prozent: 8% während des Lockdowns vs. 20% in den darauffolgenden Wochen). (Alle Werte um Kovariaten Alter, Geschlecht, Kinder und Bildung bereinigt) (Alle Skalen: LeBe)
Selbstkontrolle
Die meisten Teilnehmenden gaben an, ihre Bedürfnisse und Impulse mittel gut kontrollieren und steuern zu können (SCS-KD). Nach dem Lockdown war der Wert ein wenig niedriger als während des Lockdowns.
Stimmung
Mit verschiedenen Affektbegriffen wurde auch die Stimmung erfasst (I-PANAS-SF). Dies geschieht normalerweise getrennt für positiven und negativen Affekt. Die positive Stimmung war höher ausgeprägt als die negative, und es zeigten sich keinerlei Unterschiede während des Lockdowns und in den Wochen darauf.
Zur seelischen Gesundheit
Während des Lockdowns wiesen 54% der Stichprobe eine leichte psychische Belastung (Kernsymptome von Depression und Ängstlichkeit – PHQ-4) auf; in den Wochen darauf waren es 59%. Hinweise auf eine schwere, klinisch relevante Symptombelastung zeigten sich während des Lockdowns bei 15%, in den Wochen danach bei 25%. Dabei handelt es sich um einen statistisch signifikanten Unterschied.
Ähnliche Zahlen berichten derzeit viele internationale Studien (z.B. aus Bangladesch, Iran, Israel, Italien, Kanada, Türkei, USA…).
Einige zentrale Erkenntnisse
Ältere Personen litten weniger unter der Situation als jüngere. Auch jenen, die verheiratet oder in einer Partnerschaft waren, erging es besser. Personen, die allein lebten, die nur ein Zimmer (im Gegensatz zu einer Wohnung oder einem Haus) zur Verfügung hatten, und Menschen, die aufgrund der Pandemie arbeitslos geworden waren, berichteten signifikant mehr Stress aufgrund von COVID-19.
Personen mit hoher Sinnerfüllung konnten deutlich besser mit der Situation umgehen. Sie berichteten etwas weniger pandemie-bezogenen Stress sowie deutlich geringere psychische Belastung. Sie kümmerten sich häufiger um Nachbarn, ihre Stimmungslage war positiver, und sie konnten ihre Impulse und Reaktionen besser kontrollieren als Menschen mit niedrigerer Sinnerfüllung.
Psychische Belastung (Kernsymptome von Depression und Ängstlichkeit) war niedrig, wenn Sinnerfüllung, Selbstkontrolle und Alter hoch waren. Als potentielle Risikofaktoren für psychische Belastung erwiesen sich Spiritualität und Verschwörungsmentalität. (Weitere demographische Variablen und Religiosität standen in keinem signifikanten Zusammenhang.)
Limitationen der Studie
Die Stichprobe ist nicht repräsentativ; Frauen, Jüngere und Menschen mit höherer Bildung sind überrepräsentiert.
Die berichteten Unterschiede zwischen Lockdown und den Wochen nach dem Lockdown beruhen auf Daten unterschiedlicher Personen. Wir können daher nicht von Veränderungen sprechen. Um den Vergleich zu ermöglichen, wurden demographische Merkmale kontrolliert. Eine Nacherhebung zur Analyse tatsächlicher Veränderungen innerhalb der gleichen Personen findet statt.