Neugier und Lebenssinn

Kashdan, T. B., & Steger, M. F. (2007). Curiosity and pathways to well-being and meaning in life: Traits, states, and everyday behaviors. Motivation And Emotion, 31(3), 159-173.

Neugier ist – wie die Wissenschaftler Todd B. Kashdan und Michael F. Steger mittels einer Studie zeigen konnten – ein wichtiges Element für das Empfinden von Lebenssinn und Wohlbefinden. Zu dieser Erkenntnis gelangten die beiden amerikanischen Forscher, indem sie 97 College-Studierende befragten.

Den Forschern zufolge bedeutet Neugier, „nach neuen, komplexen und herausfordernden Interaktionen mit der Welt Ausschau zu halten und Gewinn daraus zu ziehen“. Neugier unterscheidet sich von anderen positiven Emotionen (z.B. Freude) durch den Fokus auf Wachstum und Erweiterung.

Genuss-orientierte Aktivitäten sind hingegen durch die Betonung von Vertrautheit, Einfachheit und Stabilität gekennzeichnet. Ein Beispiel: Es ist die Neugier, die uns in einem Restaurant dazu bringt, neuartige Speisen auszuprobieren; hingegen führt uns der Genuss dazu, das zu essen, von dem wir bereits wissen, dass es uns gut schmeckt.

Bisherigen Studien zufolge erleichtert der Hang zur Neugier unter anderem Aktivitäten des Lernens und der Selbstbestimmung, was dauerhaftes Wohlbefinden und Sinnerfüllung zur Folge haben kann.

Im Sinne einer permanent vorhandenen Charaktereigenschaft hat Neugier viele Vorteile, die dadurch zustande kommen, dass neugierige Menschen

  • eher nach Aktivitäten suchen, durch die sie ihre Fähigkeiten und Potenziale weiterentwickeln können und
  • neuartige, komplexe Aktivitäten mit ungewissem Ausgang eher suchen, als sie zu vermeiden.[1]

Neugier kann dazu führen, dass das Gefühl von Lebenssinn stärker präsent wird; außerdem zeichnen sich neugierige Menschen dadurch aus, dass stärker aktiv nach Lebenssinn gesucht wird. Dieses Gefühl von Lebenssinn hält nicht nur eine kurze Zeit an, im Gegensatz zu dem bloßen Gefühl von Freude, das nur für einen Moment belohnend wirkt. Vielmehr konnten die Autoren zeigen, dass ein Gefühl von Lebenssinn, wenn es aus Neugier heraus entsteht, mindestens bis zum nächsten Tag andauert.

Methode

Um herauszufinden, ob sich neugierige Menschen tatsächlich besser oder gar sinnerfüllter fühlen, untersuchten die beiden Forscher 97 College-Studierende.  Von diesen Personen erhoben sie, wie neugierig sie denn sind – Neugier ist hier im Sinne einer Charaktereigenschaft, als überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal, gemeint. Zusätzlich zu dieser Messung von Neugier als Persönlichkeitsmerkmal (erfragt durch einen Fragebogen zu Beginn der Studie) erfassten Kashdan und Steger von jeder einzelnen Person Neugier als aktuellen Zustand, der sich – je nach Situation – von Tag zu Tag verändern kann. Hierbei sollten die Studierenden für die Dauer von drei Wochen jeden Abend beschreiben, wie neugierig sie sich den vergangenen Tag über fühlten.

Zusätzlich wurde jeden Abend erfasst, mit welcher Art von Beschäftigungen sich die Studierenden den Tag über befassten: Es wurde unterschieden zwischen

  1. wachstumsorientiertem Verhalten [2] (z.B. „jemandem Dankbarkeit ausdrücken“, „jemandem etwas anvertrauen“, „Ziele verfolgen“, „über Ziele klarwerden“) und
  2. hedonistischem Verhalten (z.B. „sich betrinken“, „Essen nur des Geschmacks wegen“).

Weiterhin erfasst wurden

  • täglicher Lebenssinn und Lebenszufriedenheit (z.B. „Wie sinnvoll fühlt sich dein Leben an?“),
  • tägliches Vergnügen (Essen / sexuelle Aktivität) und
  • die tägliche Gefühlslage.

Ergebnisse im Detail

1.) Welche Auswirkungen hat Neugier als – momentaner – Zustand? An Tagen, an denen sich die Studierenden neugierig fühlten,

  • verspürten sie einen größeren Lebenssinn, wobei dieses Gefühl mindestens bis in den nächsten Tag hinein andauerte.

Diese positive Wirkung von Neugier als Zustand zeigte sich bei den Studierenden unabhängig davon, ob sie an sich neugierige Charaktere waren.

2.) Welche Auswirkungen hat Neugier als – permanente – Charaktereigenschaft? Diejenigen Studierenden, die Neugier als Charaktereigenschaft besaßen,

  • nahmen eine größere Lebenszufriedenheit wahr,
  • zeigten gleichzeitig auch mehr wachstumsorientiertes Verhalten und
  • verspürten einen größeren Lebenssinn.

Die Verbindung zwischen Neugier als Charaktereigenschaft und Neugier als Zustand ist komplex und spielt als zusätzlicher Faktor eine Rolle: Permanent neugierige Charaktere erleben häufiger Neugier im Sinne eines Zustandes und damit einhergehend öfter Sinn. Umgekehrt scheint Sinnerfüllung an sich keine Neugier hervorzurufen.

Fazit

Die Autoren zeigen somit, dass sowohl Neugier als Charaktereigenschaft als auch Neugier als Zustand einen möglichen Weg zur Sinnerfüllung und Lebenszufriedenheit aufzeigen. Dieser Weg wird durch Aktivitäten beschritten, die mit Wachstum verbunden sind. Solche Handlungen sind zum Beispiel der Ausdruck von Dankbarkeit oder Zielverfolgung. Auch Hedonistische Verhaltensweisen werden öfter von neugierigen Menschen gezeigt als von solchen, die nicht neugierig sind; allerdings können diese Aktivitäten im Gegensatz zu wachstumsorientierten Verhaltensweisen nicht zu einem andauernden Gefühl von Sinnerfüllung führen.

Also: Probieren Sie doch einmal etwas Neues aus! Vielleicht fällt ja beim nächsten Essengehen die Wahl nicht auf das althergebrachte Schnitzel mit Pommes – oder auf ein anderes Gericht, das Ihnen zwar schmeckt, aber schon lange nichts Besonderes mehr ist. Es könnte Sie vielleicht zu einem anhaltend neugierigen Menschen machen – und das nützt Ihnen mehr, als nur einen vollen Bauch zu haben.

Zusammengefasst von: Sebastian Roth


[1] Die Vermeidung von neuartigen Situationen gibt zwar einerseits Sicherheit, führt andererseits aber dazu, dass man es bereut, eine vielversprechende Gelegenheit verpasst zu haben.

[2] im Sinne von persönlichem (inneren) Wachstum bzw. Wachstum bezogen auf Beziehungen

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