Anonym: „Einfach nur glücklich sein?“

Ich möchte meine persönliche Stellungnahme mit einer Aussage von Viktor Frankl beginnen. Er meint, dass das Hauptproblem vieler Menschen in der heutigen (also damaligen) Zeit eine existentielle Frustration – ein „existentielles Vakuum“ – sei, zu dem es häufig trotz Befriedigung aller sogenannten Maslowschen Grundbedürfnisse in unserer
Überflussgesellschaft komme (Frankl, 1985, S. 32). Diese Beobachtung aus dem Jahr 1985
scheint mir heute aktueller denn je. Die Bestsellerliste der Glücksratgeber ist lang, der
Anspruch so Vieler an sich selbst „einfach nur glücklich“ zu sein ist enorm. Frankl (1997) hält diese exzessive Suche nach dem Glück jedoch für problematisch, denn je mehr man dem Glück nachjage, desto mehr verjage man es. Der Mensch wolle doch eigentlich nicht nur einfach glücklich sein, sondern einen wahren Grund dazu haben glücklich zu sein. Doch wo finden sich die Gründe zum Glücklichsein?

Meiner Meinung nach kann die Quelle nur in uns selbst zu finden sein. Wir selbst sind es,
die die Welt durch unseren Wahrnehmungsapparat auf ganz individuelle Weise erleben. Daher sind es auch wir selbst, die dafür verantwortlich sind, mit dem Erlebten umzugehen. Der Ratschlag Frankls, sich auf seine eigene Existenz hin zu überprüfen und sich ehrlich zu fragen, ob man sein Leben nicht möglichst eigenverantwortlich und selbstgestaltet leben möchte, gefällt mir sehr gut. Natürlich ist die Suche danach, was einen selbst im Innersten zusammenhält, nicht leicht und kostet einiges an Anstrengung. Allerdings denke ich, dass es eine unabdingbare Voraussetzung für die Ergründung des Sinns ist, der über einem selbst steht und dessen Erfüllung als höheres Ziel im eigenen Leben dienen kann.

Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen dennoch versuchen ihr Glück auf weniger
anstrengendere Weise zu erlangen. In unserer medialen und konsumorientierten Gesellschaft scheint es ein Leichtes zu sei, sich die tägliche Portion Erlebniswerte (die Frankl als möglichen Weg zur Sinnfindung anführt), einfach zu besorgen. Im Zeitalter der neuen Medien und sozialen Netzwerke kann man sogar im Minutentakt Neues erleben, Freunde finden und sich gegenseitig um die zauberhaften Sonnenuntergänge des letzten Urlaubs beneiden. Ich denke, dass die damit verbundene Selbstdarstellung der eigenen Person ein Ausdruck davon ist, dass sich der Mensch als wirkungsvoll, als sinnvoll erleben will. Dieser Wunsch bei anderen Menschen Eindruck zu hinterlassen und dabei angesehen und akzeptiert zu sein ist dabei wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Die Art und Weise wie dies heute im Netz zu erreichen versucht wird erscheint mir jedoch fraglich.

Harald Welzer, der Autor des medien-kritischen Buches „FuturZwei“ hat sich hierzu viele
Gedanken gemacht und meint, die Menschen nähmen sich selbst die Möglichkeit echte Erfahrungen als „Ich“ im „Hier und Jetzt“ zu machen. Durch die mediale Inszenierung gehe einerseits die Authentizität verloren und andererseits schiebe sich zwischen das Ereignis und die jeweilige Erfahrung stets ein externer Zweck (Welzer, 2016) (z.B. die beeindruckende Wirkung des Posts auf Facebook auf den Follower). Es geht also das authentische Erleben der eigenen Erfahrungen verloren, womit, entgegen aller Bemühungen, die Sinnstiftung verhindert wird und sich der Kreis des „existentiellen Vakuums“ wieder schließt. Da unsere Gefühle und Beziehungen nicht digital, sondern analog seien helfe das Netz bei echten Problemen nicht weiter (Welzer, 2016) und so ergibt sich für viele das Bedürfnis nach analoger Hilfe.

So versucht z.B. Irvin Yalom, als existentieller Psychotherapeut, seine Klienten an ihre
Analogheit zu erinnern, indem er ihnen Fragen zu ihrem Tod stellt und sie bittet, den Umstand, dass wir alle sterblich sind mit in ihre Entscheidungen, wie sie ihr Leben (selbstverantwortlich) leben wollen, einzubeziehen. Er verschafft ihnen durch seine annehmende Haltung die Erfahrung, dass jemand an ihrem analogen „Ich“ interessiert ist und es so akzeptiert und schätzt, wie es ist. Ich denke, dass die Erfahrung einer so authentischen Begegnung als sehr heilsam empfunden werden kann und dazu motiviert sich selbst wieder auf die Suche nach der eigenen Authentizität zu machen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass nichts erfüllender ist als das Gefühl, etwas zu tun, was wirklich meinem Selbst entspricht. Etwas, was ich aus innerster Motivation heraus tue, ohne damit einen externen Zweck zu erfüllen oder es aus Abwehr oder Angst zu tun. Etwas, das von der Quelle kommt, die mich im Innersten zusammenhält. Die Bereitschaft, dieser Quelle immer wieder auf den Grund zu gehen wird immer größer, je öfter ich die Erfahrung mache, dass mich nur die Dinge, die ganz ehrlich meine sind, innerlich frei und damit glücklich machen. Ganz entscheidend ist dabei zu akzeptieren, dass es viele ach so erstrebenswerte Dinge, Fähigkeiten oder Fertigkeiten gibt, die eben nicht ehrlich meine sind. Die Verführung ist oft groß und so mancher Blick auf Instagram, wo eine Bekannte ihr beneidenswertes Leben in L.A. erfolgreich inszeniert, verursacht in mir ein Gefühl des Ungenügens. Doch die Bewusstmachung, dass jeder Mensch, so auch ich, seinen eigenen, individuellen Weg gehen muss und es dabei vor allem wichtig ist, dass wir ihn authentisch und selbstverantwortlich gestalten, befreit mich dann doch immer wieder vom Gefühl dem Glück (irgendwelcher anderer) hinterherjagen zu müssen.

Mit dieser Einstellung würde ich gerne andere Menschen als Psychotherapeutin dabei
begleiten sich auf den Weg zu ihrer eigenen Quelle zu begeben, es auszuhalten ehrlich mit sich selbst zu sein und sich immer wieder in Bezug zum großen Ganzen zu setzen. Denn ich glaube, dass die jeweiligen Erfahrungen, die einem im Moment des Durchlebens oft so übermannend und erdrückend erscheinen, erträglicher werden, wenn man sie lediglich als eine lehrreiche Etappe auf der Reise zwischen Leben und Sterben betrachten kann.

Literatur
Frankl, V. (1997). Der Wille zum Sinn : Ausgewählte Vorträge über Logotherapie (4.
Aufl.). München: Piper.
Frankl, Viktor E. (1985). Das Leiden am sinnlosen Leben : Psychotherapie für heute (9.
Aufl.). Herder Freiburg: Freiburger Graphische Betriebe.
Welzer, H. (2016). Die smarte Diktatur – Der Angriff auf unsere Freiheit. S. Fischer Verlag: Berlin.

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