Marco, J. H., Pérez, S., García‐Alandete, J., & Moliner, R. (2017). Meaning in life in people with borderline personality disorder. Clinical Psychology & Psychotherapy, 24(1), 162-170.
Was ist Borderline?
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung oder auch emotional-instabile Persönlichkeitsstörung ist eine psychische Erkrankung. Im Allgemeinen zeichnet sich eine Persönlichkeitsstörung durch belastende und problematische Muster im Erleben und Verhalten aus, die zeitlich sehr stabil sind – durch die sozusagen tiefe Verankerung in der Person und ihrer Persönlichkeit. Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung, kurz Borderline, spielen Schwierigkeiten und Störungen in den Bereichen Selbstbild, zwischenmenschliche Beziehungen und Gefühle eine zentrale Rolle.
Dabei ist das Selbstbild instabil. Die eigene Identität wird abhängig vom sozialen Umfeld ganz unterschiedlich erlebt. Zwischenmenschliche Beziehungen sind intensiv und verbunden mit großen Ängsten vor dem Verlassenwerden, aber zur gleichen Zeit unbeständig – wie das Selbstbild. Das Gefühlsleben unterliegt starken Schwankungen. Betroffene sind emotional sehr sensibel und haben Schwierigkeiten ihre Gefühle und Emotionen zu regulieren. Das kann sich im Weiteren in stark impulsiven Verhaltensweisen äußern. Borderlinern fällt es zum Beispiel schwer, nach einem heftigen Gefühlsausbruch wieder in den Normalzustand zurückzukehren. Selbstverletzendes und riskantes Verhalten sowie Drogen- oder Alkoholmissbrauch wird in nicht seltenen Fällen zum Abbau dieser inneren emotionalen Spannungszustände eingesetzt. Die Wahrscheinlichkeit eines Suizides (Selbsttötung) ist bei Betroffenen im Durchschnitt 50 Mal höher als in der Gesamtbevölkerung.
Sinn im Leben und Borderline – die Verbindung
Die Erfahrung von Lebenssinn geht mit Selbstbestimmung, Freiheit, Eigenverantwortung und Optimismus gegenüber dem eigenen Leben einher. Dazu kommt ein Verständnis über die eigenen Ziele und darüber, wo mein Platz in dieser Welt ist, was maßgeblich zur eigenen Identität und zum Selbstbild beiträgt. Sinnmangel dagegen steht in Verbindung mit Depression, Hoffnungslosigkeit, nicht mehr leben wollen, Substanzmissbrauch und Schwierigkeiten in der Regulation von Gefühlen. Hier lassen sich bereits Überschneidungen mit den problematischen Symptomen und Aspekten von Borderline erkennen.
In der spanischen Untersuchung von Marco und KollegInnen (2017) zeigte sich, dass die individuelle Sinnerfahrung im Leben einen relevanten Aspekt im Bezug auf die Borderline-Persönlichkeitsstörung darstellt: Borderline-PatientInnen nehmen weniger Sinn im Leben wahr als PatientInnen mit anderen psychischen Erkrankungen. Die ForscherInnen fanden zudem einen negativen Zusammenhang von Sinnerleben mit den Symptomen der Borderline-Störung: je weniger Sinn im Leben, desto stärker die Ausprägung der Symptome – je schwächer die Ausprägung der Symptome, desto mehr Sinnerleben. Besonders hervorgestochen ist hierbei der Zusammenhang von mangelndem Lebenssinn mit vermehrtem selbstverletzendem Verhalten. Die ForscherInnen fordern aufgrund dieser Erkenntnisse den unbedingten Einbezug von Lebenssinn in die Borderline-spezifische Psychotherapie.
Mein Fazit
Sinn kann nur im konkreten Bezug auf spezifische Sinnquellen (z.B. Natur, Religion, Gemeinschaft, Gesundheit, …) erfahren werden. Das erfordert das nötige Wissen über sich selbst, die eigenen Vorlieben, Bedürfnisse und Lebensbereiche, die einem wichtig sind und aus welchen man seinen ganz persönlichen Sinn zieht. Sinnfindung ist somit auch Identitätsfindung. Die Herausbildung einer stabilen Identität ist sowohl in der Arbeit mit Borderlinern, als auch ganz allgemein in der jugendlichen Entwicklung ein grundlegendes Thema. Wobei es in diesem Zusammenhang interessant ist, dass die Borderline-Erkrankung ihren Beginn meist im (frühen) Jugendalter hat. Jugendliche zeigen häufig auch ohne das Vorliegen einer psychischen Erkrankung suizidale Verhaltensweisen oder selbstverletzendes Verhalten ohne Tötungsabsicht. Der Mangel an Sinn in Form einer Sinnkrise wird in diesem Zusammenhang als mögliche Ursache diskutiert (zum Beispiel: https://sinnforschung.p8.eu/?p=2930). Für Eltern, das soziale Umfeld, BetreuerInnen, TherapeutInnen und Verwandte ist im Kontakt mit Jugendlichen und Borderline-Betroffenen oder jugendlichen Borderlinern besonders wichtig: Die immer wiederkehrende Bestätigung und Begleitung im Entwicklungsprozess zur Beantwortung der Fragen: Wer bin ich? Was will ich? Was verleiht meinem Leben Sinn? Wo will ich hin?
Zusammengefasst von Carmen Hoffmann